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Geschätzter Kollege,


ich hoffe, dieser Brief erreicht Sie. Ich bin seit 40 Tagen in einem Versteck und werde versuchen, über die nächste Grenze zu kommen. Früher sagte man dazu wohl "Nach Depesche verreist". Aber das ist eben der Preis für unsere gute Arbeit. Nicht jeder Agent kann erfolgreich ein Unternehmen oder einen Staat destabilisieren!


Aber genug von mir, Sie hatten mir ja einige Fragen bezüglich Ihres neuen Auftrages gestellt:


Nein, ich halte es nicht für bedenklich, dass der neue Geschäftsführer ein motivierter, junger WU Absolvent mit besten Absichten ist. Ihr Auftrag ist keineswegs in Gefahr.
Nachdem er Sie ja ohnehin schon zu seinem neuen Coach gemacht hat, folgen Sie am besten diesem Leitfaden:


Ändern Sie sein Menschenbild. 
Er ist jung. Er hat, unter Garantie, ein paar wirklich, wirklich idiotische Professoren gehabt. Weisen Sie ihn immer wieder - dezent- darauf hin, dass seine Mitarbeiter:innen prinzipiell "obezahn (man sagt doch bei Ihnen so?), wenn man nicht dauernd hinter ihnen her ist und sie antreibt. Alle freizeitorientiert heutzutage, keine Arbeitsmoral mehr! Da Ihr junger Schützling vermutlich keine Ahnung vom Umfang der Aufgaben seiner Mitarbeiter:innen hat, wird es Ihnen leicht fallen, ihm diesen Floh ins Ohr zu setzen. 
Die sitzen rum und lachen? Ganz klar, hier hackelt keiner. Die treffen einander nach der Arbeit? Konspirative Sitzungen sind das. Er wird ohnehin unsicher sein - verstärken Sie das, indem Sie ihm zu verstehen geben, dass seine Mitarbeiter:innen hinter seinem Rücken "Dinge" tun.

Bringen Sie ihm im nächsten Step bei, wie er dafür "sorgt", dass die gar keine Zeit haben für so einen Unsinn. Er soll Ziele setzen und unmittelbar Strafen in Aussicht stellen, sollten diese Ziele nicht erreicht werden. (Das versteht er, er war lange in der Schule und danach auf der Uni!)
 Weil er aber vermutlich nicht strafen will zuerst, müssen Sie ihm dabei helfen, seinen Mitarbeiter:innen die Verfügung über ihre Zeit und über ihre Wünsche zu entziehen. Ihnen brauch ich ja nicht zu sagen, dass der alte Sprenger das schon immer gesagt hat - wer keine Gewalt hat über seine Zeit und seine Wünsche ist keine Person, sondern Personal. Das wird er verstehen. Das ist Personal - und er hat ja die "Personalverantwortung", das steht ja so in seinem Vertrag. 
Erklären Sie ihm, dass das etwas Hierarchisches ist. 
Er soll das mindestens ein Quartal konsequent durchziehen. Stichprobenartige oder überfallsartige Kontrollen, strikte, aber sinnlose Deadlines für Dinge aus dem gewöhnlichen Tagesgeschäft etc. etc.

Wenn Sie das Gefühl haben, dass er das beherrscht, ziehen Sie die Schräubchen ein wenig enger - jetzt soll er auch Dinge kontrollieren, von denen er nichts versteht. Wenn er Marketier ist, soll er den Controller kontrollieren, wenn er Betriebswirt ist, die Marketiere. Unsicherheit, mangelndes Fachwissen und die Unterstellung, dass ihn ohnehin hier jeder bescheißt, aber ein absurd hohes Gehalt dafür kassiert, wird ihn von seinen Mitarbeiter:innen entfernen - er wird spüren, dass Sie ihn eigenartig ansehen, er wird sich abgelehnt fühlen und somit: bestätigt in seiner (also Ihrer!) Theorie: Alle faul und egozentrisch. Nur er nicht. 


Das ist der erste Schritt, geschätzter Kollege. Ich muss mich sputen, ein Helikopter bringt mich hier raus. Ich melde mich wieder.
Ganz der Ihre
S.

Geschätzter Kollege,

ich habe es geschafft. Ich bin wieder in der Zivilisation und konnte - mit Genuss und Belehrung - wie ich gern konzediere, von ihren ersten Erfolgen lesen.

Wie Sie völlig richtig schreiben, haben die sinnlosen und nicht zum Ziel beitragenden "Kontrollen", die überfallsartige Aufforderung zur Berichterstattung und die sich selbst verstärkende Misstrauensspirale bereits das gewünschte Ergebnis gebracht. Die Mitarbeiter:innen rollen also hinter dem Rücken des Geschäftsführers bereits die Augen, er selbst kann sich ein Seufzen nicht verkneifen, wenn ein_e Mitarbeiter:in bis in sein Chefbüro vordringen kann und ihn sprechen will. 
Sie können jetzt zur zweiten Phase übergehen:

Ändern Sie sein Führungsverständnis.
Auf der Uni haben sie dem armen Wurm sicher ein paar neumodische Ideen in den Kopf gesetzt, er wird versuchen, diese umzusetzen. Partizipative Ansätze, Eigenverantwortung, "Enablen". Achten Sie auf Versuche dieser Art - unterbinden Sie dies keineswegs, das würde auffallen, aber stellen sie sicher, dass er nur mit den Mitarbeiter:innen spricht, die von einer geänderten Führung nicht profitieren würden - den "Anstoßbewegten", den Faulen, den Stabsstelleninhabern mit viel Macht - Sie wissen, wen ich meine. "Das haben wir immer so gemacht" ist deren Standarderwiderung.

Die werden ihm ganz klar vor Augen führen, dass er ordentlich hintreten muss, damit sich überhaupt etwas bewegt. Meist haben diese hilfreichen Gesellen nämlich auch die Macht, ihn an einfachen organisatorischen und/oder administrativen Dingen scheitern zu lassen. Weil er aber - dank Ihnen! - ja ohnehin keinen Kontakt mehr zu den operativ tätigen Leuten hat - wird er nach einiger Zeit diese Flausen aufgeben.

Führung ist eben: Eine harte Hand haben, die die anderen auch spüren müssen. Wie ein gestrenger Vater, der die Kinder ja nur zu ihrem Besten schlägt. Ist ja immer noch gesellschaftsfähig - mit ein bisschen Glück hatte er so einen Vater oder einen Chef, dann wird er ganz natürlich, weil unter Druck und weil er gar keine andere Handlungsmöglichkeit kennt, oder je ausprobieren konnte, genau in das erlernte und erlebte Muster verfallen.

Wenn die Mitarbeiter dann soweit sind, dass sie nicht mehr die Unternehmensziele im Fokus haben, sondern nur mehr, "wie der Alte heute drauf ist", haben Sie einen großen, weiteren Schritt getan.


Ich bin sehr stolz auf Sie, Wertester
und verbleibe mit den besten Wünschen
S.

Lieber junger Freund,

danke für Ihre ausführlichen Berichte von der Unternehmensfront! Sie sind auf einem guten Weg, wie ich sehe. Es brodelt also bereits überall im Betrieb, die Mitarbeiter fühlen sich kontrolliert, aber nicht unterstützt, diejenigen, auf die ihr Schützling nicht hört - die Besten also - überlegen bereits einen Wechsel.
Aber, lieber Kollege, die Zahlen sind noch zu gut. So können unsere Auftraggeber die Firma nicht billig übernehmen. Die haben einfach ein gutes Produkt.
Ich rate Ihnen daher, die Daumenschrauben etwas anzuziehen und dem Geschäftsführer eine andere Sicht auf seine Führungsrolle zu vermitteln.

Schon misstraut er seinen Mitarbeiter:innen, jetzt wird es Zeit, dieses Misstrauen zu forcieren! Machen Sie ihm klar, dass er sowieso der einige ist, der weiß, wie der Hase läuft. Eigentlich ist es ohnehin sein Verdienst, dass die Firma läuft. Organisieren Sie doch zum Beispiel seine Teilnahme an einem Vanity-Event. Soll er doch, beklatscht von anderen eitlen Gecken, über seine Erfolge referieren. Mühelos sollte ihm dort gelingen, die Anstrengungen des Teams als seine Anstrengung, die Innovationen seiner führenden Entwickler:innen als seine Ideen und die Verkaufskraft seiner Vertriebler:innen als seinen Erfolg - seinem Charisma geschuldet - zu präsentieren. 
Achten Sie bitte darauf, dass Zeitungsberichte darüber unbedingt auf der Firmenhomepage stehen bzw. auf dem internen "Schwarzen Brett" ausgehängt werden - die Mitarbeiter:innen müssen das natürlich brühwarm unter ihre nichtsnutzigen Nasen gerieben bekommen. Sie werden sehen, das hat unmittelbare Auswirkungen.

Es wird natürlich ein paar sture Typen geben, die trotzdem einfach weiterhin ihr Bestes geben - aber für diese gibt es ja ein probates Mittel: Der Hasen-Zick-Zack-Kurs! Alt, aber immer noch gut.

Ziele setzen, diese ändern. Diese Ziele möglichst nicht erklären. Da ihr Geschäftsführer ja noch wenig Ahnung hat vom Geschäft, wird ihm das nicht schwerfallen. Lassen Sie ihn "Strategiepapiere" aufsetzen, die sich in Richtung "15% mehr Umsatz im nächsten Quartal bei 10% Einsparung bei den Kosten" bewegen. Oder launchen Sie mit ihm drei für das Unternehmen neue Produkte oder Dienstleistungen für eine völlig neue Zielgruppe, die bis dato noch niemand bedient hat.
Nennen Sie das "Diversifizierung" und erklären sie ihm, dass seine Ideen genial, die Ausführungen durch sein "Personal" aber höchst uninspiriert sind.
Sollte dies, wider Erwarten, doch gelingen, schwenken Sie um: Ziele setzen und Mittel verweigern.

Aber dazu nächstes Mal mehr!

Lassen Sie mich nochmals sagen, dass Sie für uns alle eine Inspiration sind!

Herzlichst
S.



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